32. Annalise-Wagner Preis

Cover des Buches „Du stirbst im Fliegen“ von Jörn van Hall © Quintus-Verlag
Cover des Buches „Du stirbst im Fliegen“ von Jörn van Hall © Quintus-Verlag

Der mit 2500 Euro dotierte Annalise-Wagner-Preis 2023 geht an die Erzählung „Du stirbst im Fliegen“ von Jörn van Hall. Sie ist Jörn van Halls Prosa-Debüt und erschien 2022 im Quintus-Verlag in Berlin.

Die Ausschreibung und Vergabe des 32. Annalise-Wagner-Preis wurde möglich durch die Unterstützung der Sparkasse Neubrandenburg-Demmin und des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte.  Die Annalise-Wagner-Stiftung dankt herzlich!

73 Bewerbungen und Vorschläge lagen der Annalise-Wagner-Stiftung vor. Von den 35 Bewerbungen und 38 Vorschlägen kamen 48 aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und 25 aus anderen Bundesländern bzw. Ländern. Sie beziehen sich auf 45 Publikationen und 28 Manuskripte. Bei 37 Bewerbungen und Vorschlägen geht es um belletristische Werke, 32 bringen populärwissenschaftliche oder wissenschaftliche Sachtexte ein und 4 machen aufmerksam auf Texte der Kinder- und Jugendliteratur. Für jeden Vorschlag und jede Bewerbung bedankt sich die Annalise-Wagner-Stiftung mit großer Wertschätzung!

Einstimmig votierten Jury und Kuratorium für die Auszeichnung der Erzählung „Du stirbst im Fliegen“ von Jörn van Hall. In der Begründung der Jury heißt es: „Du stirbst im Fliegen“ – ein kleines Meisterwerk mit großer Strahlkraft.“  

Jörn van Hall erzählt die Geschichte der an Demenz erkrankten Opernsängerin Helene und des aus seiner iranischen Heimat geflüchteten Mourad. Tag für Tag wartet dieser in der norddeutschen Container-Unterkunft auf den Brief, der über sein Leben entscheiden soll. Und er verzweifelt zusehends, bis sein heimlicher Freund Ole ihm im Haus der Mutter ein Zimmer anbietet. Im Gegenzug soll Mourad sich um die achtzigjährige Helene kümmern, die mehr und mehr vergisst. Mit seiner Hilfsbereitschaft und den stimmungsvollen Erzählungen über seine Heimat und Träume gewinnt Mourad die Sympathien von Helene, Nachbarin Maike und der Briefträgerin Irma. Nur der verwitwete Frithjoff, Maikes Vater und Helenes Verehrer, bleibt misstrauisch. Diese Dorfgemeinschaft ist „– Tür an Tür lebend – auch eine Art Notgemeinschaft. In der jede(r) um die fein gewebten Fäden von Schicksal, Schuld und Verantwortung weiß. Ohne, dass diese benannt werden müssten. [Zitate: Vorschlag der Jury des 32. Annalise-Wagner-Preises, Text: Kathrin Matern]“ Am Ende muss Mourad über sein Leben entscheiden – allein …

Die Jury betont: „Im Sinne der Stifterin fordert der Text heraus zum Nachdenken über Heimat und Identität. Dabei überlässt er den Lesenden eine eigenständige Perspektive auf scheinbar vertraute wie auf vermeintlich fremde Lebensumstände in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation.“

Sensibel und subtil regt diese Erzählung an zum Nachdenken über vielschichtige zeitgeschichtliche Themen wie „Flucht, Vertreibung, Verstrickung, Teilung, Revolution, Abwanderung, Homophobie, familiäre Autoritäten, drohende Hinrichtung“.

Das gelingt Jörn van Hall „mit großer Sprachkraft und Stilsicherheit und vor allem ohne Klischees“.

„Knappe, sehr präzise, manchmal beinah raue Sätze“ lassen alles, was wir nicht erinnern und bedenken wollen, „umso schärfer zutage treten“. Jörn van Halls „Kunst des Auslassens“ eröffnet einen „Kosmos“ von Assoziationen. Die „poetische Kraft“ der Erzählung ist beeindruckend – und der kurze Text wirkt lange nach.

Intensiv poetisch verdichtet und inhaltlich erstaunlich vielschichtig in Themen wie Blickwinkeln stellt diese Erzählung Fragen, die sowohl von zeitgeschichtlicher Aktualität und gesellschaftlicher Brisanz sind als auch zur Auseinandersetzung mit menschlichen Werten und Prinzipien anregen.

Mit Empathie ohne Gefühligkeit und mit weitem geografischen wie historischen Horizont lässt die Erzählung nachdenken über so komplexe Themen wie z. B. Heimat und Identität, Migration und Integration, Miteinander und Einsamkeit, Freiheit und Selbstbestimmung, Menschenwürde und Menschlichkeit, Erinnern und Vergessen... –  über Fragen und Werte, die heute und künftig an Facetten und an Gewicht gewinnen.

Erzählt wird von diesen „großen“ Themen mit sensibel gezeichneten Bildern aus einem „kleinen“ Mikrokosmos norddeutscher dörflicher Nachbarschaft, fokussiert auf eine Handvoll literarischer Personen und deren verwobene Geschichten.

Dafür findet die ganz eigene Sprachkraft Jörn van Halls prägnante Sätze, treffende Dialoge, poetische Bilder; die Erzählung wird in „Kapitel-Miniaturen“ komponiert. Dieser sprachlich dichte, poetische Prosa-Text zieht in seinen Bann. Ohne zu überwältigen und zu bedrängen öffnet er einen Assoziationsraum, um die subtil eröffneten Fragen mit eigenen Erinnerungen, Erfahrungen, Welt-, Geschichts- und Zukunftsbildern zu beleuchten und zu bedenken.

Jörn van Halls Erzählung „Du stirbst im Fliegen“ ist sowohl sprachästhetisch von hervorragender Qualität als auch thematisch von herausragender Relevanz.
Mit der Preisvergabe 2023 macht der Annalise-Wagner-Preis zum sechsten Mal auf Belletristik aus der oder über die Region rund um Neubrandenburg und Neustrelitz aufmerksam. Zum zweiten Mal in der Stiftungsgeschichte (zuerst 2004) geht der Annalise-Wagner-Preis an einen Text, dessen Bezug zur Region nicht über die Verortung des Textes hergestellt wird, sondern dessen Autor hier lebt.

Mehr Informationen: Quintus-Verlag Berlin, Jörn van Hall: Du stirbst im Fliegen

Verlagsinformation zu Jörn van Halls Erzählung „Du stirbst im Fliegen“ (PDF)

Jörn van Hall  © Barbara Dietl
Jörn van Hall  © Barbara Dietl

Jörn van Hall, Jahrgang 1970, absolvierte sein Jurastudium in Hannover und Berlin. Nach Abschluss des Referendariats am Berliner Landgericht ging er im Jahr 2000 nach London und arbeitete dort als Editor für die Legalease Ltd. Von 2007 bis 2021 war er im deutschen Verlagswesen tätig und betreute als Kurator Projekte zu Kunst- und Kulturthemen mit Bezug zum Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik. Jörn van Hall lebt als Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer in Neustrelitz und Berlin.

„Die Auszeichnung mit dem Annalise-Wagner-Preis rührt und ehrt mich sehr. Ich fühle mich in meiner schriftstellerischen Arbeit bestärkt und in meinem Anliegen, Selbstverständlichkeiten einzufordern, wie sie Annalise Wagner, da bin ich mir sicher, gern er- und gelebt hätte: ‚Du bist ein Mensch‘, schrieb sie, ‚bist wie die Erde / so schillernd in tausend Farben.‘ Es ist an uns, nach diesen Zeilen zu leben, zu lieben.“  Jörn van Hall, Mai 2023

Mehr Informationen: Autoren-Homepage Jörn van Hall

Vorschlag der Jury des 32. Annalise-Wagner-Preises (PDF)

Presseinformation zum 32. Annalise-Wagner-Preis (PDF)

Presse, Auswahl

Tobias Lemke: Schriftsteller Jörn van Hall erhält Neubrandenburger Literaturpreis. – In: Nordkurier : Strelitzer Zeitung (2023 06 14). – S. 13 (PDF)

Preisverleihung

Die öffentliche Verleihung des 32. Annalise-Wagner-Preises an Jörn van Hall fand am 23. Juni 2023 um 17 Uhr im Haus der Kultur und Bildung in Neubrandenburg statt und verband im Rahmen des Neubrandenburger Bücherfrühlings die Erinnerung an den 775. Stadtgeburtstag der Kreisstadt mit dem Andenken an den 120. Geburtstag der Stifterin am 19. Juni 2023. Die Regionalbibliothek begleitete die Vorbereitung der 32. Verleihung des Annalise-Wagner-Preises im Mai und Juni 2023 mit einer attraktiven Vitrinen-Ausstellung und dem „BiboCafe Annalise“ zum 120. Geburtstag Annalise Wagners am 19. Juni 2023.  

EINLADUNG (PDF)

Die LAUDATIO für Jörn van Hall hielt die Schriftstellerin Kerstin Hensel.
Prof. Kerstin Hensel ist eine der angesehensten deutschsprachigen Lyrikerinnen, schreibt außerdem Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Essays oder Kinderbücher und ist seit 2001 Professorin für Verssprache und Diktion an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Sie wurde ausgezeichnet u. a. mit dem Anna-Seghers-Preis, Leonce-und-Lena-Preis, Lessingpreis oder Ida Dehmel-Literaturpreis, ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, der Akademie der Künste Berlin sowie des PEN.
Mehr Informationen: Autorinnen-Homepage Kerstin Hensel

Dr. Kerstin Hensel: LAUDATIO für Jörn van Hall (PDF)

Den 32. Annalise-Wagner-Preis überreichten gemeinsam Herr Silvio Witt, Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg, Herr Andreas Grund, Bürgermeister der Stadt Neustrelitz und Herr Prof. Dr. Roman Frank Oppermann, Kuratoriumsvorsitzender.

Jörn van Hall: DANKWORT (PDF)

Außergewöhnliche musikalische Akzente setzten Avelina Neye (Saxophon) und Joe Schröder (Akkordeon). Beide sind Erste Preisträger des Bundeswettbewerbes Jugend musiziert 2023 und Frühstudenten an der Young Academy Rostock der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Avelina Neye (17) gehört zu den größten Musiktalenten in Mecklenburg-Vorpommern, hat schon viele Preise gewonnen, steht auf nationalen und internationalen Bühnen und wird von mehreren Stiftungen gefördert.

Rund 100 Gäste nahmen an der öffentlichen Preisverleihung teil und folgten anschließend gern der Einladung zu Gesprächen mit Preisträger, Jury- und Gremienmitgliedern, die der Förderverein der Regionalbibliothek mit der Finanzierung des Caterings unterstützte. Die Buchhandlung Thalia sorgte für Gesprächsstoff mit Entdeckungen in neuer Regionalliteratur – und für zahlreiche signierte Preisträgerbücher.

Kontakt und mehr Informationen: Annalise-Wagner-Stiftung, c/o Regionalbibliothek, Marktplatz 1, 17033 Neubrandenburg, 0395 / 5551333, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

 

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