Annalise-Wagner-Preisträgerin 2008


Dr. Annette Leo
Dankwort

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, meine Herren Bürgermeister, meine Damen und Herren,

Zuallererst Danke. Dank für diesen Preis, für dieses einhellige Votum der Jury, die die Beschäftigung mit einem Thema gewürdigt, das ein bisschen sperrig ist und vielleicht von manchen lieber weg geschoben als angeschaut wird. Aber nun helfen Sie mit Ihrer Entscheidung für den Preis wohl, dass ein paar mehr Menschen hinschauen und das Buch lesen werden und hoffentlich gehen deren Gedanken beim Lesen, nach dem Lesen beim Sprechen darüber – über das hinaus, was ich aufgeschrieben habe – darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht: von der Vergangenheit hin zur Gegenwart, vom Fall Fürstenberg zur eigenen Geschichte, die ihre eigenen Widersprüche und Verwicklungen aufweist.

Danke an die Fördergeber. Die Entstehung dieses kleinen Buches, man sieht es ihm nicht an, ist von vielen Seiten unterstützt und gefördert worden: Die Thyssen-Stiftung, Gedenkstätte Ravensbrück, Heinrich-Böll-Stiftung, Strassmann-Stiftung, die Landeszentrale für Politische Bildung Brandenburg und schließlich die Stiftung Aufarbeitung. Sie alle haben nicht nur unterstützt sondern auch Geduld aufgebracht, bis ich den Text endlich fertig hatte. Die Arbeit zog sich hin, musste immer mal wieder unterbrochen werden, weil andere Projekte dazwischen kamen.

Aber letztlich hatte die Zeit, die zwischen meinen Gesprächen mit den Fürstenbergerinnen und Fürstenbergern und dem Schreiben des Textes vergangen ist, auch ihr Gutes. Es vollzog sich so etwas wie ein Prozess der „Ablagerung“. Ein wenig in die Ferne gerückt, veränderten sich die Bilder, manches trat deutlicher hervor, anderes rückte in den Hintergrund. Gewichte, Bewertungen verschoben sich. Nicht zuletzt auch Danke an den Verleger, Friedrich Veitl, sein beständiges Interesse an diesen Themen, Danke an Constanze Jaiser für ihr sorgfältiges Lektorat.

Die Idee, die Fürstenbergerinnen und Fürstenberger über ihre Erinnerungen an das KZ und ihre Nachbarschaft zur Gedenkstätte zu befragen, kam von Frau Jacobeit, der damaligen Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück. Sie sagte damals, es gebe in Fürstenberg eine Menge Leute, die endlich darüber sprechen wollten, was damals geschehen war. Das erwies sich, wie sich bald herausstellte, als ein Irrtum. Zur ersten vorbereitenden Veranstaltung ins Fürstenberge Rathaus kamen von etwa 60 Eingeladenen fünf oder sechs. Eine Frau war nur gekommen, um ihre Sympathie für ein solches Vorhaben zu bekunden. Sie selbst war erst in den fünfziger Jahren nach Fürstenberg gezogen. Ein Mann stand auf und sagte, dass das nichts bringen werde, Fürstenberg habe mit Ravensbrück gar nichts zu tun gehabt, weil das eine zu Brandenburg/Preußen gehörte und das andere zu Mecklenburg. Blieben also noch vier, mit denen mein Kollege Jens Schley und ich erstmal begannen. Den Herrn, der so vehement auf der verwaltungsmäßigen Abgrenzung bestanden hatte, konnten wir schließlich auch noch gewinnen. Von dort aus versuchten wir, uns langsam vorzuarbeiten, waren aber komplett auf den Zufall angewiesen, wen uns jemand nach unserem Gespräch empfahl, der ja auch uns – hoffentlich – bei den Betreffenden empfahl, sodass eine Ablehnung nicht ganz so wahrscheinlich war. Dieser Widerstand gegen unsere Fragen, die Abwehr, in irgendeine Verbindung mit dem damaligen KZ gebracht zu werden, war manchmal schwer zu ertragen. Aber man muss bedenken, dass der Supermarkt-Skandal, in dessen Zusammenhang die Fürstenberger als „hässliche Deutsche“, die sich an die NS-Zeit nicht erinnern wollen, in der Öffentlichkeit vorgeführt wurden, noch frisch in Erinnerung war. Und vor dem Skandal hatte es ein jahrzehntelanges Schweigen gegeben, die Leute haben nicht untereinander und nicht mit ihren Kindern darüber gesprochen, dass etwa auf dem Hof oder in der Werkstatt regelmäßig Häftlinge gearbeitet hatten, sie haben auch nicht darüber gesprochen, dass sie hin und wieder halfen, ein Stullenpaket hinlegten oder mal eine Zigarette fallen ließen. Das ganze Thema war mit einer dicken Schicht Schweigen umwickelt. Die Gedenkstätte zu DDR-Zeiten war an den Erinnerungen der Fürstenberger und Fürstenbergerinnen kaum interessiert. Dass die Anwohner auch Augenzeugen waren, die etwas gesehen hatten, was vielleicht wichtig war, wurde nicht ernst genommen. In dem recht flachen und schmalen Antifaschismus-Bild, das in der DDR und somit auch in der Gedenkstätte vermittelt wurde, hatten nur Geschichten über den Widerstand Platz. Und nicht einmal das. Es musste auch der „richtige“ Widerstand sein.

Das wurde mir einmal mehr klar, als ich über eine Empfehlung und noch eine Empfehlung hier nach Neustrelitz kam und Frau Maritzen kennen lernte.

Frau M. stammte aus Fürstenberg, war nach dem Krieg nach Neustrelitz gekommen zusammen mit ihrem zweiten Mann, der Musiker am Theater war. Ihr erster Mann, Jochen Seiler, war Offizier an der Ostfront gewesen und 1944 wegen Wehrkraftzersetzung in Berlin-Spandau erschossen worden. Die junge Frau, Tochter des Uhrmachers und Juweliers, die zur so genannten „guten Gesellschaft“ in Fürstenberg gehörte, wurde durch die Verhaftung des Mannes aus ihrer bisherigen Idylle gerissen. Sie hatte sich über Politik wenig Gedanken gemacht, kurz zuvor hatte sie ein Baby bekommen. Nun wurde sie selbst - als mutmaßliche Komplizin ihres Mannes - für einige Wochen hier im Gefängnis in Neustrelitz inhaftiert, begegnete in der Zelle einer jungen Polin, die im KZ Ravensbrück Opfer medizinischer Experimente geworden war. Wieder freigelassen, fühlte sie sich böse abgelehnt und ausgegrenzt von ihren Nachbarn und Mitbewohnern, die auch vor Denunziationen nicht zurück schreckten.

Frau Maritzen war dadurch ganz anders sensibilisiert für die NS-Verbrechen und die Opfer. Im Gegensatz zu vielen anderen Fürstenbergerinnen und Fürstenbergern war für sie der Einmarsch der Roten Armee – trotz Willkür, trotz Gewalttaten, Vergewaltigungen – auch eine Befreiung. Einige Jahre später jedoch musste sie erleben, dass niemand in der DDR die Geschichte ihres Mannes hören wollte oder ihn gar als Opfer des Nationalsozialismus ansehen mochte. Sie versuchte es immer wieder und gab schließlich enttäuscht und verletzt auf. Die Argumente, die sie zu hören bekam lauteten: Er sei kein Antifaschist gewesen und habe nur zu den „Ratten“ gehört, die das sinkende Schiff verlassen wollten. Frau Maritzen kam mir bei unserem Gespräch sehr offen entgegen und zum Schluss bedankte sie sich bei mir. „Wofür“, fragte ich erstaunt, denn eigentlich war ich es doch, die sich bedanken musste. „Dafür“, sagte sie, „dass ich meine Geschichte zum ersten Mal erzählen konnte, ohne sie irgendwie zurecht zu biegen“.

Damals war sie schon sehr krank. Als ich das Manuskript druckfertig machte, lebte sie nicht mehr, deshalb konnte ich sie auch nicht mehr fragen, ob ich ihren richtigen Namen verwenden darf. Ich wusste zwar, dass sie eine Tochter hatte, aber ich wusste nicht, wie die Tochter heißt. Durch einen Zufall jedoch kam dieses Buch schon bald nach seinem Erscheinen der Tochter in die Hände. Die Frau nahm Kontakt mit mir auf und sagte, sie wollte mich unbedingt sprechen. Ehrlich gesagt, hatte ich ein bisschen Angst davor, vielleicht hatte ich etwas über ihre Eltern geschrieben, was ihren Anstoß erregt hatte. Die Begegnung mit Frau Moldenhauer war jedoch eine angenehme Überraschung. Diese Tochter, die ihren Vater nie bewusst kennen gelernt hatte, hatte sich auf die Suche nach der Geschichte des Vaters gemacht und sie stellte kritische Fragen an diese Geschichte. Ihre Mutter, so sagte sie, habe den Vater mit den Jahren immer mehr zum Helden verklärt. Sie aber frage sich, ob er das wirklich gewesen sei. Aus seinen Briefen habe sie entnommen, dass er vielleicht nur aus Angst die Truppe verlassen habe. Sie wollte es genau wissen und sie war bereit, diesen Vater mit allem, was sie über ihn erfahren würde, anzunehmen.

Ich kann mir keine bessere Wirkung meiner Arbeit, keine bessere Fortsetzung meiner Befragungen vorstellen als dies. Dass davon eine Ermutigung ausgeht für einen genauen Blick, für Lokalstudien, um die eigene Geschichte und damit die Gegenwart verstehen zu können. Denn Fürstenberg ist nur ein Beispiel.


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