Annalise-Wagner-Preisträger 2009


Dr. Arnold Hückstädt
Dankwort

Sehr geehrte Frau Regierungsdirektorin Dr. Carstensen,
sehr geehrter Herr Kreistagspräsident Pohland,
sehr geehrter Herr Dr. Wieland,
sehr geehrte Frau Weiß,
sehr geehrter Herr Grund,
sehr geehrter Herr Dr. Lübbert,
sehr geehrter Herr Salewski,
sehr geehrter Herr Dr. Kittler,
liebe Frau Nenz,
lieber Hartmut Brun


In diesem Augenblick befinde ich mich in einer ähnlichen, wenn auch nicht direkt vergleichbaren Situation, wie einst Fritz Reuter, der im März 1863 eine hohe Ehrung erfahren hatte, die ihn Überlegungen anstellen ließ, wie und bei wem er sich gehörig zu bedanken habe.

Die Philosophische Fakultät der Universität Rostock hatte ihm den Doktortitel honoris causa verliehen, weil er, der bekannte und gefeierte Neubrandenburger, es verstanden habe, den „vaterländischen Dialect“ wieder zu erwecken und in seinen Werken „Ernstes mit Scherz zu vereinen“. Dem Großherzog Friedrich Franz II., der der Patron der Universität war, schickte er ein launiges Dankschreiben: „Denken Sie sich, Königliche Hoheit, einen Humoristen in einer Doctor-Robe! wie er das ungewohnte Gewand nicht zu tragen weiß, bald es der Würde wegen lang nachschleppen läßt, bald es ungebührlich bis über das Knie aufschürzt der freieren Bewegung wegen.“ Doch dann heißt es im Ernst und in aller Form: „[...] ich folge meinem Herzen und sage Ew. Königlichen Hoheit als meinem Allergnädigsten Landesvater meinen innigsten Dank.“

Dem Dekan der Fakultät, Prof. Dr. Volkmar Fritzsche, schrieb er am selben Tag, dem 26. März 1863, aus Neubrandenburg: „Aber nun, mein hochverehrter Herr Professor, habe ich noch eine Bitte: mir sind nämlich die Formalien, wie dieselben bei einem Danke für eine so hohe Ehre im Gebrauche sind, völlig unbekannt, und die Herrn Doctores hiesiger Stadt wissen mir in diesem Falle auch nicht zu rathen; ich frage daher ergebenst bei Ihnen an, ob es gebräuchlich ist, daß man noch besondere Schritte in dieser Richtung thut, oder ob Sie die Güte haben werden, meinen dankbaren Gefühlen als freundlicher Dolmetsch bei der hohen Facultät zu dienen.“

Ich möchte meinen Dank weder brieflich abstatten noch einem Dolmetsch übertragen; ich folge meinem Herzen und sage tief bewegt vor Freude über die Auszeichnung mit dem Annalise-Wagner-Preis aufrichtig und herzlich danke!

Doch ehe es ausdrücklich geschieht, lassen Sie mich etwas sagen, warum und wie es zu dieser Briefedition kam, und lassen Sie mich versuchen, Ihnen den großartigen Briefschreiber Reuter, der auch hinreißende plattdeutsche Brieftexte verfasste, etwas näher zu bringen.

Wer auf dem Gebiet der Reuterforschung und dem der allgemeinen niederdeutschen Philologie arbeitet, der hat es als schmerzliche Lücke empfunden, dass ihm keine kritisch edierte Gesamtausgabe der Briefe Reuters zur Verfügung stand. Bei dem Bemühen, den Dichter Fritz Reuter, sein Leben, sein Werk und seine Wirkung zu verstehen und gültig zu interpretieren und den Zeitzeugen zu begreifen, ist aber ein geschlossen vorliegendes Briefwerk unverzichtbar.

Die bisher einzige so genannte Gesamtausgabe der Briefe Reuters aus dem Jahr 1913, besorgt von Otto Weltzien, enthielt lediglich 566 Briefe – etwa die Hälfte der heute ermittelten – und konnte, da sie nicht kommentiert und zudem mit zahlreichen Lücken behaftet war, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen.

Es hieß nunmehr zunächst, den Briefkorpus zusammenzutragen. In einer längeren Phase sehr zeitaufwendiger Arbeit, die 1985 begann, galt es, ausfindig zu machen, wo Reuterbriefe aufbewahrt werden. Eine mühselige Sucharbeit, die Ende der neunziger Jahre abgeschlossen wurde.

Schließlich konnten 1027 Reuterbriefe in ihren textlichen Ausfertigungen ermittelt werden, darunter 792 Autographen, von denen 159 bislang ungedruckt und damit unbekannt waren. Fast eben so viele waren in Vergessenheit geraten, da sie an versteckter Stelle in lokalen Zeitungen und Zeitschriften früherer Jahrzehnte publiziert worden waren. Die 792 Brieforiginale befinden sich in 31 öffentlich-rechtlichen und privaten Sammlungen Deutschlands, der USA und Polens. In 26 Fällen konnten Briefe – zumeist Einzelstücke – in verschiedenem Privatbesitz gefunden werden.

Der nächstfolgende Arbeitsschritt war die Transkription der originalen Texte, d. h. ihre exakte schriftliche Übertragung. Sorgfalt war angesagt, um Lese- und Übertragungsfehler möglichst zu vermeiden, wie sie in früheren Briefabdrucken häufiger vorkamen, wenn man, um ein paar Beispiele zu nennen, die „Schmelzöfen“ zu „Schmalzöfen“, die „Dedikation“ zur „Diskussion“, den „Bahnhof“ zum „Lagerhof“, den „Bahnmeister“ zum „Baumeister“ oder die „Rasselbande“ zur „Rassenbande“ machte. Vor Transkriptionsirrtümern ist niemand gefeit, doch hoffe ich, sie bleiben in dieser Briefedition auf ein Mindestmaß beschränkt.

Der Ausgabe liegen folgende Editionsprinzipien zugrunde: Die Briefe sind chronologisch angeordnet; sie wurden durchgehend, und zwar bändeübergreifend, nummeriert. Der Briefkopf enthält unter Voranstellung der laufenden Nummer den Vor- und Familiennamen des Adressaten, den Absendeort und das Datum des Briefes. Bei der Textgestaltung wurde grundsätzlich auf die überlieferten Handschriften zurückgegriffen; die Textwiedergabe entspricht den originalen Vorlagen, und zwar buchstaben- und zeichengetreu. Fehlten die Handschriften, wurde der zuverlässigste Vorgängerdruck, in der Regel der Erstdruck, als Vorlage gewählt. Wo Reuter offensichtliche Flüchtigkeiten und eindeutige Schreibversehen unterlaufen sind, was nur selten vorgekommen ist, wurden sie stillschweigend berichtigt. Jedoch alle von mir vorgenommenen Korrekturen, wie Einschübe fehlender Wörter, Ergänzungen unvollendeter Sätze oder rekonstruierte Textteile in beschädigten Briefpassagen stehen in eckigen Klammern, womit sie eindeutig als redaktionelle Eingriffe des Herausgebers kenntlich sind.

Die Erarbeitung des Kommentars war schwierig und reizvoll zugleich. Interpretiert wird nicht der Brief als Ganzes, erklärt werden einzelne Stellen, Namen, Begriffe. Außerdem enthält jeder Briefkommentar einen Quellennachweis, gibt Aufschluss über den Aufbewahrungsort der Handschrift sowie über den Erstdruck und wichtige Nachfolgedrucke. Die Erläuterungen im Kommentar wollen zum besseren Verständnis der Briefe beitragen; mit Hilfe der Namens-, Orts-, Sach-, Werk- und Adressatenregister in Band III wird der Zugang zu ihnen erleichtert.

Unabhängig von ihrem sprachlichen Gewand bereiten die Briefe Reuters einen hohen Lesegenuss. Ihre Form ist klar und führt zu sprachlichen Gestaltungen von großer Anschaulichkeit, und sie sind reich an erheiternden Einfällen. Wie in seinen Werken weiß Reuter auch in den Briefen „Ernstes mit Scherz zu vereinen“. Als er sich entschieden hatte, seine gereimten Anekdoten als „Läuschen un Rimels“ im Selbstverlage erscheinen und bei dem Neubrandenburger Druckereibesitzer Bernhard Ahrendt 1853 drucken zu lassen, löste in der Endphase der Buchherstellung eine dramatische Störung die andere ab. So heißt es in dem Brief vom 17. November 1853 an Ahrendt: „Lieber Freund, Ihr Brief gibt mit der einen Hand Honig, mit der andern Wermuth, schön ist es, d a ß das Buch jetzt fertig ist; aber verdrießlich, daß es doch noch n i c h t fertig ist, daß der dumme Umschlag fehlt. Wie nun? Darauf in Ruhe und Geduld warten, bis der liebe Gott und der Hamburger Probenreiter uns das Papier sendet, das geht doch nicht, da könnte die beste Zeit darüber hingehen.“

Als Reuter die Arbeit an „Kein Hüsung“ beendet hatte und das Buch erscheinen sollte, fürchtete er, dass es ihm von den Zensurbehörden verboten werden könnte. Sein Verleger Theodor Kunike in Greifswald teilte eine solche Befürchtung nicht. Reuter schrieb ihm am 19. Juni 1857: „Also die Censur fürchten Sie nicht, das ist mir lieb, ist es erst aus preußischen Censors Händen, so glaube ich wird auch in Mecklenburg keine Gefahr für das Ding sein; aber Vorsicht ist doch gut, namentlich in Schwerin, da sind sie des Teufels ; ich glaube, Sie thun wohl, wenn Sie [...] mit den Sendungen nach Schwerin und Strelitz eine 8 Tage warten, es möchte dort nicht gut riechen.“

„Kein Hüsung“ erschien. Es war das erste in Neubrandenburg geschriebene Werk Reuters. Er hielt es ein Leben lang für sein bestes. In einem zu Herzen gehenden plattdeutsch geschriebenen Brief vom 17. Februar 1864 bekannte sich Reuter nachhaltig zu seiner Sozialdichtung: „[...] ein is noch dor, de is öller as de ‚ollen Kamellen’, dat is en düstern Gast mit swarte kruse Hoor un glupsche Ogen un wenn de annern Gören üm mi rümmer jachern un lachen, denn steiht hei för sik allein in de Eck un kickt in dat lustige Kinnerspill, as wull hei seggen: ‚Wat? Ji lacht un ik müggt weinen!’ Denn gah ik nah em ranner un segg un strik em äwer dat kruse Hoor: ‚Lat! – Lat sei lachen! – Un mit Di ward’t ok woll mal beter – D u  b ü s t  d o c h  m i n  B e s t! – Du büst min leiw ‚Kein Hüsung’.“

Einer der besten Freunde Reuters war der Neubrandenburger Privatgelehrte Ernst Boll. Als diesem im Oktober 1863 von der Universität Greifswald die Ehrendoktorwürde verliehen worden war, erhielt er von Reuter die humorige Zuschrift: „Du hast mir mit der Zusendung von Deinem Doktor-Diplom eine große Freude gemacht. Gott sei Dank! wir kalüren nun doch zusammen, und wenn ich nach Br. [Neubrandenburg] zurückkehre und wir beiden über die Straße gehen, können wir ein ganz hübsches Aufsehn unter der Bevölkerung erregen.“

In Neubrandenburg lebte Reuter von 1856 bis 1863. Hier entfaltete er seine volle literarische Schöpferkraft und schuf alle seine bedeutenden Werke. Hier fühlte er sich wohl. Sein wohl innigstes Bekenntnis zu Neubrandenburg, niedergeschrieben in dem Brief vom 14. Dezember 1857 an die Schwestern von Bülow, lautete: „Sie fragen, wie’s in meinem Wohnorte aussieht – oh, hier in Neubrandenburg sieht’s herrlich aus [...], so köstlich ist hier die Natur, so freundlich unser Städtchen. Dies hat mich denn auch hier hergezogen und Gottlob! der früher hinter Schloß und Riegel saß, ist jetzt frei, wie der Vogel, er kann singen, wo er will, und ziehen, wohin er will. Dazu hat mir Gott eine Frau nach meinem Herzen gegeben, die mir mein Leben leicht und freundlich macht und [...] dafür sorgt, daß meine bescheidene Häuslichkeit eines innigen Familienlebens nicht entbehrt.“

Die B riefe, die Reuter aus und nach Neubrandenburg geschrieben hat, sind Zeugnisse tiefer Verbundenheit mit dem Strelitzer Land und seinen Menschen. Sie geben verlässliche Auskünfte über sein Leben und seine Werke und erweisen sich als ein unverstelltes Spiegelbild des Menschen, des Dichters und des Zeitzeugen Fritz Reuter.

Dass ich das Ergebnis eines nahezu 25-jährigen Bemühens in Gestalt dieser Briefausgabe vorlegen konnte, war nur möglich, weil ich die selbstlose Unterstützung von vielen Institutionen und Personen erhalten habe. Museen, Bibliotheken und Archive haben sich stets von ihrer kooperativen Seite gezeigt, allen voran das Fritz-Reuter-Literaturmuseum Stavenhagen und die Landesbibliothek Schwerin. Grete Grewolls und Peter Starsy seien herzlich bedankt für ungezählte personen- und familiengeschichtliche Daten, die sie aus ihren eigenen Forschungsvorhaben uneigennützig zur Verfügung gestellt haben. Ich danke der Fritz Reuter Gesellschaft e. V. Neubrandenburg, die als Projektträger die Herausgabe der Briefe ermöglicht hat. Ich danke dem Hinstorff Verlag Rostock für die würdige und sehr ansprechende Ausstattung der Briefausgabe und meinem Lektor, Herrn Dr. Florian Ostrop, der die Bände mit viel Einfühlungsvermögen, Umsicht und Sachkenntnis betreut hat. Ich danke den Förderern: dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, der Reuterstadt Stavenhagen, der Stadt Neubrandenburg, der Sparkassenstiftung Neubrandenburg, der Fritz Reuter Gesellschaft e.V., dem Fritz Reuter Literaturarchiv von Hans-Joachim Griephan Berlin und der Pommerland GmbH Stavenhagen für die großzügige Unterstützung. Nicht zuletzt danke ich meiner Frau für ihr Verständnis und ihr Interesse, mit dem sie meine Arbeit über eine so lange Zeit begleitet hat.

Heute aber gilt mein besonderer Dank der Jury und dem Kuratorium der Annalise-Wagner-Stiftung, die meine Arbeit mit dieser ehrenvollen Auszeichnung gewürdigt haben, ich danke für die Verleihung des Annalise-Wagner-Preises des Jahres 2009!

Ich danke Herrn Dr. Kittler und seinen musisch begabten Schülerinnen und Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums für diese wunderschöne Feierstunde; sie wird mir unvergesslich bleiben. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit!


« zurück