Sehr
geehrte Frau Regierungsdirektorin Dr. Carstensen,
sehr geehrter Herr Kreistagspräsident Pohland,
sehr geehrter Herr Dr. Wieland,
sehr geehrte Frau Weiß,
sehr geehrter Herr Grund,
sehr geehrter Herr Dr. Lübbert,
sehr geehrter Herr Salewski,
sehr geehrter Herr Dr. Kittler,
liebe Frau Nenz,
lieber Hartmut Brun
In diesem Augenblick befinde ich mich in einer ähnlichen,
wenn auch nicht direkt vergleichbaren Situation, wie einst
Fritz Reuter, der im März 1863 eine hohe Ehrung erfahren
hatte, die ihn Überlegungen anstellen ließ, wie und bei
wem er sich gehörig zu bedanken habe.
Die Philosophische Fakultät der Universität Rostock
hatte ihm den Doktortitel honoris causa verliehen, weil
er, der bekannte und gefeierte Neubrandenburger, es
verstanden habe, den „vaterländischen Dialect“ wieder
zu erwecken und in seinen Werken „Ernstes mit Scherz zu
vereinen“. Dem Großherzog Friedrich Franz II., der der
Patron der Universität war, schickte er ein launiges
Dankschreiben: „Denken Sie sich, Königliche Hoheit,
einen Humoristen in einer Doctor-Robe! wie er das
ungewohnte Gewand nicht zu tragen weiß, bald es der Würde
wegen lang nachschleppen läßt, bald es ungebührlich bis
über das Knie aufschürzt der freieren Bewegung wegen.“
Doch dann heißt es im Ernst und in aller Form: „[...]
ich folge meinem Herzen und sage Ew. Königlichen Hoheit
als meinem Allergnädigsten Landesvater meinen innigsten
Dank.“
Dem Dekan der Fakultät, Prof. Dr. Volkmar
Fritzsche, schrieb er am selben Tag, dem 26. März 1863,
aus Neubrandenburg: „Aber nun, mein hochverehrter Herr
Professor, habe ich noch eine Bitte: mir sind nämlich die
Formalien, wie dieselben bei einem Danke für eine so hohe
Ehre im Gebrauche sind, völlig unbekannt, und die Herrn
Doctores hiesiger Stadt wissen mir in diesem Falle auch
nicht zu rathen; ich frage daher ergebenst bei Ihnen an,
ob es gebräuchlich ist, daß man noch besondere Schritte
in dieser Richtung thut, oder ob Sie die Güte haben
werden, meinen dankbaren Gefühlen als freundlicher
Dolmetsch bei der hohen Facultät zu dienen.“
Ich möchte meinen Dank weder brieflich abstatten noch
einem Dolmetsch übertragen; ich folge meinem Herzen und
sage tief bewegt vor Freude über die Auszeichnung mit dem
Annalise-Wagner-Preis aufrichtig und herzlich danke!
Doch ehe es ausdrücklich geschieht, lassen Sie mich etwas
sagen, warum und wie es zu dieser Briefedition kam, und
lassen Sie mich versuchen, Ihnen den großartigen
Briefschreiber Reuter, der auch hinreißende plattdeutsche
Brieftexte verfasste, etwas näher zu bringen.
Wer auf dem Gebiet der Reuterforschung und dem der
allgemeinen niederdeutschen Philologie arbeitet, der hat
es als schmerzliche Lücke empfunden, dass ihm keine
kritisch edierte Gesamtausgabe der Briefe Reuters zur Verfügung
stand. Bei dem Bemühen, den Dichter Fritz Reuter, sein
Leben, sein Werk und seine Wirkung zu verstehen und gültig
zu interpretieren und den Zeitzeugen zu begreifen, ist
aber ein geschlossen vorliegendes Briefwerk unverzichtbar.
Die bisher einzige so genannte Gesamtausgabe der Briefe
Reuters aus dem Jahr 1913, besorgt von Otto Weltzien,
enthielt lediglich 566 Briefe – etwa die Hälfte der
heute ermittelten – und konnte, da sie nicht kommentiert
und zudem mit zahlreichen Lücken behaftet war,
wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen.
Es hieß nunmehr zunächst, den Briefkorpus
zusammenzutragen. In einer längeren Phase sehr
zeitaufwendiger Arbeit, die 1985 begann, galt es,
ausfindig zu machen, wo Reuterbriefe aufbewahrt werden.
Eine mühselige Sucharbeit, die Ende der neunziger Jahre
abgeschlossen wurde.
Schließlich konnten 1027 Reuterbriefe in ihren textlichen
Ausfertigungen ermittelt werden, darunter 792 Autographen,
von denen 159 bislang ungedruckt und damit unbekannt
waren. Fast eben so viele waren in Vergessenheit geraten,
da sie an versteckter Stelle in lokalen Zeitungen und
Zeitschriften früherer Jahrzehnte publiziert worden
waren. Die 792 Brieforiginale befinden sich in 31 öffentlich-rechtlichen
und privaten Sammlungen Deutschlands, der USA und Polens.
In 26 Fällen konnten Briefe – zumeist Einzelstücke –
in verschiedenem Privatbesitz gefunden werden.
Der nächstfolgende Arbeitsschritt war die Transkription
der originalen Texte, d. h. ihre exakte schriftliche Übertragung.
Sorgfalt war angesagt, um Lese- und Übertragungsfehler möglichst
zu vermeiden, wie sie in früheren Briefabdrucken häufiger
vorkamen, wenn man, um ein paar Beispiele zu nennen, die
„Schmelzöfen“ zu „Schmalzöfen“, die
„Dedikation“ zur „Diskussion“, den „Bahnhof“
zum „Lagerhof“, den „Bahnmeister“ zum
„Baumeister“ oder die „Rasselbande“ zur
„Rassenbande“ machte. Vor Transkriptionsirrtümern ist
niemand gefeit, doch hoffe ich, sie bleiben in dieser
Briefedition auf ein Mindestmaß beschränkt.
Der Ausgabe liegen folgende Editionsprinzipien zugrunde:
Die Briefe sind chronologisch angeordnet; sie wurden
durchgehend, und zwar bändeübergreifend, nummeriert. Der
Briefkopf enthält unter Voranstellung der laufenden
Nummer den Vor- und Familiennamen des Adressaten, den
Absendeort und das Datum des Briefes. Bei der
Textgestaltung wurde grundsätzlich auf die überlieferten
Handschriften zurückgegriffen; die Textwiedergabe
entspricht den originalen Vorlagen, und zwar buchstaben-
und zeichengetreu. Fehlten die Handschriften, wurde der
zuverlässigste Vorgängerdruck, in der Regel der
Erstdruck, als Vorlage gewählt. Wo Reuter offensichtliche
Flüchtigkeiten und eindeutige Schreibversehen unterlaufen
sind, was nur selten vorgekommen ist, wurden sie
stillschweigend berichtigt. Jedoch alle von mir
vorgenommenen Korrekturen, wie Einschübe fehlender Wörter,
Ergänzungen unvollendeter Sätze oder rekonstruierte
Textteile in beschädigten Briefpassagen stehen in eckigen
Klammern, womit sie eindeutig als redaktionelle Eingriffe
des Herausgebers kenntlich sind.
Die Erarbeitung des Kommentars war schwierig und reizvoll
zugleich. Interpretiert wird nicht der Brief als Ganzes,
erklärt werden einzelne Stellen, Namen, Begriffe. Außerdem
enthält jeder Briefkommentar einen Quellennachweis, gibt
Aufschluss über den Aufbewahrungsort der Handschrift
sowie über den Erstdruck und wichtige Nachfolgedrucke.
Die Erläuterungen im Kommentar wollen zum besseren Verständnis
der Briefe beitragen; mit Hilfe der Namens-, Orts-, Sach-,
Werk- und Adressatenregister in Band III wird der Zugang
zu ihnen erleichtert.
Unabhängig von ihrem sprachlichen Gewand bereiten die
Briefe Reuters einen hohen Lesegenuss. Ihre Form ist klar
und führt zu sprachlichen Gestaltungen von großer
Anschaulichkeit, und sie sind reich an erheiternden Einfällen.
Wie in seinen Werken weiß Reuter auch in den Briefen
„Ernstes mit Scherz zu vereinen“. Als er sich
entschieden hatte, seine gereimten Anekdoten als „Läuschen
un Rimels“ im Selbstverlage erscheinen und bei dem
Neubrandenburger Druckereibesitzer Bernhard Ahrendt 1853
drucken zu lassen, löste in der Endphase der
Buchherstellung eine dramatische Störung die andere ab.
So heißt es in dem Brief vom 17. November 1853 an Ahrendt:
„Lieber Freund, Ihr Brief gibt mit der einen Hand Honig,
mit der andern Wermuth, schön ist es, d a ß das Buch
jetzt fertig ist; aber verdrießlich, daß es doch noch n
i c h t fertig ist, daß der dumme Umschlag fehlt. Wie
nun? Darauf in Ruhe und Geduld warten, bis der liebe Gott
und der Hamburger Probenreiter uns das Papier sendet, das
geht doch nicht, da könnte die beste Zeit darüber
hingehen.“
Als Reuter die Arbeit an „Kein Hüsung“ beendet hatte
und das Buch erscheinen sollte, fürchtete er, dass es ihm
von den Zensurbehörden verboten werden könnte. Sein
Verleger Theodor Kunike in Greifswald teilte eine solche
Befürchtung nicht. Reuter schrieb ihm am 19. Juni 1857:
„Also die Censur fürchten Sie nicht, das ist mir lieb,
ist es erst aus preußischen Censors Händen, so glaube
ich wird auch in Mecklenburg keine Gefahr für das Ding
sein; aber Vorsicht ist doch gut, namentlich in Schwerin,
da sind sie des Teufels ; ich glaube, Sie thun wohl, wenn
Sie [...] mit den Sendungen nach Schwerin und Strelitz
eine 8 Tage warten, es möchte dort nicht gut riechen.“
„Kein Hüsung“ erschien. Es war das erste in
Neubrandenburg geschriebene Werk Reuters. Er hielt es ein
Leben lang für sein bestes. In einem zu Herzen gehenden
plattdeutsch geschriebenen Brief vom 17. Februar 1864
bekannte sich Reuter nachhaltig zu seiner Sozialdichtung:
„[...] ein is noch dor, de is öller as de ‚ollen
Kamellen’, dat is en düstern Gast mit swarte kruse Hoor
un glupsche Ogen un wenn de annern Gören üm mi rümmer
jachern un lachen, denn steiht hei för sik allein in de
Eck un kickt in dat lustige Kinnerspill, as wull hei
seggen: ‚Wat? Ji lacht un ik müggt weinen!’ Denn gah
ik nah em ranner un segg un strik em äwer dat kruse Hoor:
‚Lat! – Lat sei lachen! – Un mit Di ward’t ok woll
mal beter – D u b
ü s t d o c h
m i n B
e s t! – Du büst min leiw ‚Kein Hüsung’.“
Einer der besten Freunde Reuters war der Neubrandenburger
Privatgelehrte Ernst Boll. Als diesem im Oktober 1863 von
der Universität Greifswald die Ehrendoktorwürde
verliehen worden war, erhielt er von Reuter die humorige
Zuschrift: „Du hast mir mit der Zusendung von Deinem
Doktor-Diplom eine große Freude gemacht. Gott sei Dank!
wir kalüren nun doch zusammen, und wenn ich nach Br.
[Neubrandenburg] zurückkehre und wir beiden über die
Straße gehen, können wir ein ganz hübsches Aufsehn
unter der Bevölkerung erregen.“
In Neubrandenburg lebte Reuter von 1856 bis 1863. Hier
entfaltete er seine volle literarische Schöpferkraft und
schuf alle seine bedeutenden Werke. Hier fühlte er sich
wohl. Sein wohl innigstes Bekenntnis zu Neubrandenburg,
niedergeschrieben in dem Brief vom 14. Dezember 1857 an
die Schwestern von Bülow, lautete: „Sie fragen, wie’s
in meinem Wohnorte aussieht – oh, hier in Neubrandenburg
sieht’s herrlich aus [...], so köstlich ist hier die
Natur, so freundlich unser Städtchen. Dies hat mich denn
auch hier hergezogen und Gottlob! der früher hinter Schloß
und Riegel saß, ist jetzt frei, wie der Vogel, er kann
singen, wo er will, und ziehen, wohin er will. Dazu hat
mir Gott eine Frau nach meinem Herzen gegeben, die mir
mein Leben leicht und freundlich macht und [...] dafür
sorgt, daß meine bescheidene Häuslichkeit eines innigen
Familienlebens nicht entbehrt.“
Die B riefe, die Reuter aus und nach Neubrandenburg
geschrieben hat, sind Zeugnisse tiefer Verbundenheit mit
dem Strelitzer Land und seinen Menschen. Sie geben verlässliche
Auskünfte über sein Leben und seine Werke und erweisen
sich als ein unverstelltes Spiegelbild des Menschen, des
Dichters und des Zeitzeugen Fritz Reuter.
Dass ich das Ergebnis eines nahezu 25-jährigen Bemühens
in Gestalt dieser Briefausgabe vorlegen konnte, war nur möglich,
weil ich die selbstlose Unterstützung von vielen
Institutionen und Personen erhalten habe. Museen,
Bibliotheken und Archive haben sich stets von ihrer
kooperativen Seite gezeigt, allen voran das
Fritz-Reuter-Literaturmuseum Stavenhagen und die
Landesbibliothek Schwerin. Grete Grewolls und Peter Starsy
seien herzlich bedankt für ungezählte personen- und
familiengeschichtliche Daten, die sie aus ihren eigenen
Forschungsvorhaben uneigennützig zur Verfügung gestellt
haben. Ich danke der Fritz Reuter Gesellschaft e. V.
Neubrandenburg, die als Projektträger die Herausgabe der
Briefe ermöglicht hat. Ich danke dem Hinstorff Verlag
Rostock für die würdige und sehr ansprechende
Ausstattung der Briefausgabe und meinem Lektor, Herrn Dr.
Florian Ostrop, der die Bände mit viel Einfühlungsvermögen,
Umsicht und Sachkenntnis betreut hat. Ich danke den Förderern:
dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Mecklenburg-Vorpommern, der Reuterstadt Stavenhagen, der
Stadt Neubrandenburg, der Sparkassenstiftung
Neubrandenburg, der Fritz Reuter Gesellschaft e.V., dem
Fritz Reuter Literaturarchiv von Hans-Joachim Griephan
Berlin und der Pommerland GmbH Stavenhagen für die großzügige
Unterstützung. Nicht zuletzt danke ich meiner Frau für
ihr Verständnis und ihr Interesse, mit dem sie meine
Arbeit über eine so lange Zeit begleitet hat.
Heute aber gilt mein besonderer Dank der Jury und dem
Kuratorium der Annalise-Wagner-Stiftung, die meine Arbeit
mit dieser ehrenvollen Auszeichnung gewürdigt haben, ich
danke für die Verleihung des Annalise-Wagner-Preises des
Jahres 2009!
Ich danke Herrn Dr. Kittler und seinen musisch begabten
Schülerinnen und Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums
für diese wunderschöne Feierstunde; sie wird mir
unvergesslich bleiben. Ich danke Ihnen allen für Ihre
Aufmerksamkeit!
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