Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,
meine Herren Bürgermeister, meine Damen und Herren,
Zuallererst
Danke. Dank für diesen Preis, für dieses einhellige
Votum der Jury, die die Beschäftigung mit einem Thema gewürdigt,
das ein bisschen sperrig ist und vielleicht von manchen
lieber weg geschoben als angeschaut wird. Aber nun helfen
Sie mit Ihrer Entscheidung für den Preis wohl, dass ein
paar mehr Menschen hinschauen und das Buch lesen werden
und hoffentlich gehen deren Gedanken beim Lesen, nach dem
Lesen beim Sprechen darüber – über das hinaus, was ich
aufgeschrieben habe – darüber hinaus in mehrfacher
Hinsicht: von der Vergangenheit hin zur Gegenwart, vom
Fall Fürstenberg zur eigenen Geschichte, die ihre eigenen
Widersprüche und Verwicklungen aufweist.
Danke an die Fördergeber. Die Entstehung dieses kleinen
Buches, man sieht es ihm nicht an, ist von vielen Seiten
unterstützt und gefördert worden: Die Thyssen-Stiftung,
Gedenkstätte Ravensbrück, Heinrich-Böll-Stiftung,
Strassmann-Stiftung, die Landeszentrale für Politische
Bildung Brandenburg und schließlich die Stiftung
Aufarbeitung. Sie alle haben nicht nur unterstützt
sondern auch Geduld aufgebracht, bis ich den Text endlich
fertig hatte. Die Arbeit zog sich hin, musste immer mal
wieder unterbrochen werden, weil andere Projekte
dazwischen kamen.
Aber letztlich hatte die Zeit, die zwischen meinen Gesprächen
mit den Fürstenbergerinnen und Fürstenbergern und dem
Schreiben des Textes vergangen ist, auch ihr Gutes. Es
vollzog sich so etwas wie ein Prozess der
„Ablagerung“. Ein wenig in die Ferne gerückt, veränderten
sich die Bilder, manches trat deutlicher hervor, anderes rückte
in den Hintergrund. Gewichte, Bewertungen verschoben sich.
Nicht zuletzt auch Danke an den Verleger, Friedrich Veitl,
sein beständiges Interesse an diesen Themen, Danke an
Constanze Jaiser für ihr sorgfältiges Lektorat.
Die Idee, die Fürstenbergerinnen und Fürstenberger über
ihre Erinnerungen an das KZ und ihre Nachbarschaft zur
Gedenkstätte zu befragen, kam von Frau Jacobeit, der
damaligen Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück. Sie
sagte damals, es gebe in Fürstenberg eine Menge Leute,
die endlich darüber sprechen wollten, was damals
geschehen war. Das erwies sich, wie sich bald
herausstellte, als ein Irrtum. Zur ersten vorbereitenden
Veranstaltung ins Fürstenberge Rathaus kamen von etwa 60
Eingeladenen fünf oder sechs. Eine Frau war nur gekommen,
um ihre Sympathie für ein solches Vorhaben zu bekunden.
Sie selbst war erst in den fünfziger Jahren nach Fürstenberg
gezogen. Ein Mann stand auf und sagte, dass das nichts
bringen werde, Fürstenberg habe mit Ravensbrück gar
nichts zu tun gehabt, weil das eine zu Brandenburg/Preußen
gehörte und das andere zu Mecklenburg. Blieben also noch
vier, mit denen mein Kollege Jens Schley und ich erstmal
begannen. Den Herrn, der so vehement auf der verwaltungsmäßigen
Abgrenzung bestanden hatte, konnten wir schließlich auch
noch gewinnen. Von dort aus versuchten wir, uns langsam
vorzuarbeiten, waren aber komplett auf den Zufall
angewiesen, wen uns jemand nach unserem Gespräch empfahl,
der ja auch uns – hoffentlich – bei den Betreffenden
empfahl, sodass eine Ablehnung nicht ganz so
wahrscheinlich war. Dieser Widerstand gegen unsere Fragen,
die Abwehr, in irgendeine Verbindung mit dem damaligen KZ
gebracht zu werden, war manchmal schwer zu ertragen. Aber
man muss bedenken, dass der Supermarkt-Skandal, in dessen
Zusammenhang die Fürstenberger als „hässliche
Deutsche“, die sich an die NS-Zeit nicht erinnern
wollen, in der Öffentlichkeit vorgeführt wurden, noch
frisch in Erinnerung war. Und vor dem Skandal hatte es ein
jahrzehntelanges Schweigen gegeben, die Leute haben nicht
untereinander und nicht mit ihren Kindern darüber
gesprochen, dass etwa auf dem Hof oder in der Werkstatt
regelmäßig Häftlinge gearbeitet hatten, sie haben auch
nicht darüber gesprochen, dass sie hin und wieder halfen,
ein Stullenpaket hinlegten oder mal eine Zigarette fallen
ließen. Das ganze Thema war mit einer dicken Schicht
Schweigen umwickelt. Die Gedenkstätte zu DDR-Zeiten war
an den Erinnerungen der Fürstenberger und Fürstenbergerinnen
kaum interessiert. Dass die Anwohner auch Augenzeugen
waren, die etwas gesehen hatten, was vielleicht wichtig
war, wurde nicht ernst genommen. In dem recht flachen und
schmalen Antifaschismus-Bild, das in der DDR und somit
auch in der Gedenkstätte vermittelt wurde, hatten nur
Geschichten über den Widerstand Platz. Und nicht einmal
das. Es musste auch der „richtige“ Widerstand sein.
Das wurde mir einmal mehr klar, als ich über eine
Empfehlung und noch eine Empfehlung hier nach Neustrelitz
kam und Frau Maritzen kennen lernte.
Frau M. stammte aus Fürstenberg, war nach dem Krieg nach
Neustrelitz gekommen zusammen mit ihrem zweiten Mann, der
Musiker am Theater war. Ihr erster Mann, Jochen Seiler,
war Offizier an der Ostfront gewesen und 1944 wegen
Wehrkraftzersetzung in Berlin-Spandau erschossen worden.
Die junge Frau, Tochter des Uhrmachers und Juweliers, die
zur so genannten „guten Gesellschaft“ in Fürstenberg
gehörte, wurde durch die Verhaftung des Mannes aus ihrer
bisherigen Idylle gerissen. Sie hatte sich über Politik
wenig Gedanken gemacht, kurz zuvor hatte sie ein Baby
bekommen. Nun wurde sie selbst - als mutmaßliche
Komplizin ihres Mannes - für einige Wochen hier im Gefängnis
in Neustrelitz inhaftiert, begegnete in der Zelle einer
jungen Polin, die im KZ Ravensbrück Opfer medizinischer
Experimente geworden war. Wieder freigelassen, fühlte sie
sich böse abgelehnt und ausgegrenzt von ihren Nachbarn
und Mitbewohnern, die auch vor Denunziationen nicht zurück
schreckten.
Frau Maritzen war dadurch ganz anders sensibilisiert für
die NS-Verbrechen und die Opfer. Im Gegensatz zu vielen
anderen Fürstenbergerinnen und Fürstenbergern war für
sie der Einmarsch der Roten Armee – trotz Willkür,
trotz Gewalttaten, Vergewaltigungen – auch eine
Befreiung. Einige Jahre später jedoch musste sie erleben,
dass niemand in der DDR die Geschichte ihres Mannes hören
wollte oder ihn gar als Opfer des Nationalsozialismus
ansehen mochte. Sie versuchte es immer wieder und gab
schließlich enttäuscht und verletzt auf. Die Argumente,
die sie zu hören bekam lauteten: Er sei kein Antifaschist
gewesen und habe nur zu den „Ratten“ gehört, die das
sinkende Schiff verlassen wollten. Frau Maritzen kam mir
bei unserem Gespräch sehr offen entgegen und zum Schluss
bedankte sie sich bei mir. „Wofür“, fragte ich
erstaunt, denn eigentlich war ich es doch, die sich
bedanken musste. „Dafür“, sagte sie, „dass ich
meine Geschichte zum ersten Mal erzählen konnte, ohne sie
irgendwie zurecht zu biegen“.
Damals war sie schon sehr krank. Als ich das Manuskript
druckfertig machte, lebte sie nicht mehr, deshalb konnte
ich sie auch nicht mehr fragen, ob ich ihren richtigen
Namen verwenden darf. Ich wusste zwar, dass sie eine
Tochter hatte, aber ich wusste nicht, wie die Tochter heißt.
Durch einen Zufall jedoch kam dieses Buch schon bald nach
seinem Erscheinen der Tochter in die Hände. Die Frau nahm
Kontakt mit mir auf und sagte, sie wollte mich unbedingt
sprechen. Ehrlich gesagt, hatte ich ein bisschen Angst
davor, vielleicht hatte ich etwas über ihre Eltern
geschrieben, was ihren Anstoß erregt hatte. Die Begegnung
mit Frau Moldenhauer war jedoch eine angenehme Überraschung.
Diese Tochter, die ihren Vater nie bewusst kennen gelernt
hatte, hatte sich auf die Suche nach der Geschichte des
Vaters gemacht und sie stellte kritische Fragen an diese
Geschichte. Ihre Mutter, so sagte sie, habe den Vater mit
den Jahren immer mehr zum Helden verklärt. Sie aber frage
sich, ob er das wirklich gewesen sei. Aus seinen Briefen
habe sie entnommen, dass er vielleicht nur aus Angst die
Truppe verlassen habe. Sie wollte es genau wissen und sie
war bereit, diesen Vater mit allem, was sie über ihn
erfahren würde, anzunehmen.
Ich kann mir keine bessere Wirkung meiner Arbeit, keine
bessere Fortsetzung meiner Befragungen vorstellen als
dies. Dass davon eine Ermutigung ausgeht für einen
genauen Blick, für Lokalstudien, um die eigene Geschichte
und damit die Gegenwart verstehen zu können. Denn Fürstenberg
ist nur ein Beispiel.
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